Fokusthema Kortison
Fast jeder Mensch mit Lupus bekommt Kortison, idealerweise nur vorübergehend. Es ist „Fluch und Segen“ zugleich und sorgt damit für viel Unsicherheit, wahrscheinlich auch bei dir. Kortison ist unverzichtbar, um bei Schüben schnell wieder die Kontrolle zu bekommen. In der Langzeittherapie wird aber oft zu viel davon gegeben – mit möglicherweise schweren Folgen. Einerseits möchtest du dein Kortison vielleicht behalten, weil es schnell und zuverlässig wirkt. Andererseits machen dir die Risiken vielleicht etwas Angst. Grund genug für uns, dieses wichtige Thema intensiv aufzubereiten und Infos aus unterschiedlichen LupusCheck.de-Abschnitten hier für dich zusammenzuführen.
Die 7 wichtigsten Fakten über Kortison
Kortison kennt jede*r. Obwohl es so häufig verwendet wird – auch bei anderen Erkrankungen –, wissen nicht alle Patient*innen wirklich Bescheid über Glukokortikoide, wie Kortison-Präparate eigentlich fachlich bezeichnet werden (dazu gleich mehr). Vielleicht erfährst auch du jetzt etwas für dich Neues:
Was ist eigentlich Kortison?
Das medizinische Wort für Kortison-Präparate ist „Glukokortikoide“ oder „Steroide“. Unser Körper stellt natürliche Glukokortikoide („Cortison“ und seine aktive Form „Cortisol“) selbst her und zwar in der Nebennierenrinde.
Warum bei Kortison auch die Uhrzeit wichtig ist
Die körpereigene Produktion von Glukokortikoiden schwankt im Tagesverlauf stark und ist am frühen Morgen am höchsten. Deshalb sollten auch Kortison-Tabletten meist komplett am frühen Morgen – idealerweise zwischen 6 und 8 Uhr – eingenommen werden, um den Hormon-Rhythmus im Körper möglichst wenig zu stören. Selten und meist auch vorübergehend kann eine kleine Dosis am Abend genommen werden.
Die richtige Kortison-Dosis: eine Frage der Balance
Kortison wird vor allem dann gebraucht, wenn der Lupus (wieder) aktiv ist. Das muss nicht gleich ein schwerer Krankheitsschub sein, sondern vielleicht merkst du selbst, dass Beschwerden langsam zunehmen, z. B. Fatigue oder Schmerzen. Vielleicht sieht deine Ärzt*in auch etwas in den Labor-Ergebnissen, was auf eine drohende Verschlechterung hinweist. Dann wird oft Kortison eingesetzt oder die Dosis erhöht, um diese Krankheitsaktivität abzufangen.
Du kannst dir das wie eine Waage vorstellen – auf der einen Seite die Krankheitsaktivität, auf der anderen die Kortison-Dosis:
Um nicht immer wieder akut mit Kortison arbeiten zu müssen, werden andere Medikamente eingesetzt. Es gilt, für jeden Menschen mit Lupus die optimale Kombination zu finden, die dafür sorgt, dass der Lupus in Ruhe bleibt – wenn möglich, ohne Kortison. Diese Medikamente – Hydroxychloroquin und ggf. zusätzliche Biologika oder Immunsuppressiva – wirken nicht sofort, sondern entfalten ihre Wirkung langsam über Wochen bis Monate. Das ist auch in Ordnung, denn diese Medikamente sollen meist dauerhaft gegeben werden und den Lupus in Schach halten. Da ist es nicht primär wichtig, dass sie schnell wirken, sondern dass sie langfristig eine stabile Wirkung haben und durch die beruhigte Erkrankung helfen, Kortison einzusparen. Bis die optimale Kombination gefunden wurde, mit der die Krankheit in Remission gebracht werden kann, ist Kortison oft unverzichtbar.
Welche Wirkungen hat Kortison?
Das im Körper gebildete Cortison/Cortisol zählt zu den so genannten Stresshormonen, die zum Beispiel ausgeschüttet werden, wenn eine Gefahr droht (zusammen mit den Hormonen Noradrenalin und Adrenalin). Im Rahmen dieser Stressreaktion schlägt zum Beispiel das Herz kräftiger und schneller, die Atmung beschleunigt sich, der Blutdruck und der Zuckerspiegel im Blut steigen. Dadurch werden Aufmerksamkeit, Informationsverarbeitung und Merkfähigkeit erhöht. Der Körper stellt sich so auf einen „Kampf“ und den damit verbundenen Energiebedarf ein. Er heizt die Prozesse an, die ihm jetzt helfen, und fährt diejenigen runter, die er für die Akutsituation nicht braucht. Dafür werden körpereigene Eiweißspeicher abgebaut und Fettspeicher aufgelöst, die Knochenbildung gehemmt und das Immunsystem unterdrückt, wodurch Entzündungen gehemmt werden. Durch Cortisol sind wir belastbar und fit, wenn viel ansteht, und werden in Akutsituationen vor Entzündungen geschützt. Bei dauerhaftem Stress kann die Cortisol-Ausschüttung unseren Alltag aber auch stressig und anstrengend machen und uns am Ende krank werden lassen. Die Folgen können ganz unterschiedlich sein: z. B. Schlafstörungen, Kraftlosigkeit, innere Unruhe, Magenprobleme oder Gewichtszunahme.
All diese Prozesse werden natürlich auch angeschoben, wenn man dem Körper künstliches Kortison zuführt. Daraus entstehen die gewünschten Effekte wie die Unterdrückung des Immunsystems – aber auch die ganzen Nebenwirkungen, die unter Kortison auftreten können.
Keine Wirkung ohne mögliche Nebenwirkung – auch beim Kortison
Weil Kortison in unserem Körper so viele wichtige Funktionen hat, sind auch viele ganz unterschiedliche Nebenwirkungen möglich. Das hat dazu geführt, dass viele Menschen Angst vor Kortison haben und es auf keinen Fall nehmen wollen. Aber das ist genauso falsch, wie zu lange zu viel Kortison zu nehmen. Kurzfristig können auch höhere Dosen ohne Bedenken eingesetzt werden.
Zinas Geschichte
Schaue dir Zinas Geschichte und ihren langen Weg zu einer niedrigen Kortison-Dosis an!
Kortison ist ein wichtiges und gutes Medikament gegen deine chronische Erkrankung – und es muss einfach immer das Ziel sein, es zügig wieder zu minimieren. Unter einer Kortisontherapie sind die Kontrolluntersuchungen bei deiner Ärzt*in besonders wichtig, um Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen. Welche möglichen Nebenwirkungen die wichtigsten sind, fassen wir dir jetzt zusammen.
Die wichtigsten möglichen Nebenwirkungen von Kortison
Diese lange Liste möglicher Nebenwirkungen zeigt dir, wie wichtig es ist, deinen Körper auf Dauer mit so wenig Kortison wie möglich zu belasten. Du erinnerst dich an den Leitsatz von vorhin:
Was hat Kortison mit Organschäden zu tun?
Beim Lupus wird immer das Risiko für Organschäden betont, denn sie haben große Relevanz für die Prognose und die langfristige Lebensqualität. Der Begriff „Organschäden“ bedeutet, dass es durch den Lupus im Körper und den betroffenen Organsystemen zu bleibenden, nicht-reparablen Schäden gekommen ist. Zellen sind zerstört und verlieren ihre Funktion. An der Haut sind das zum Beispiel Narben. Organschäden in den Nieren hingegen beschleunigen ein Nierenversagen. Idealerweise gelingt es durch eine frühe und konsequente Therapie, den Lupus so früh in eine dauerhafte Remission zu bringen, dass gar nicht erst Organschäden entstehen. Das gelingt leider längst nicht immer.
Für diese Organschäden gibt es unterschiedliche Ursachen. Manche sind auf den Lupus selbst und die Entzündungen zurückzuführen. Bei der Entwicklung Lupus-bedingter Organschäden spielt vor allem auch die langfristige Kortison-Gabe eine zentrale Rolle. Dabei geht es besonders um die frühzeitige Entwicklung einer „Gefäßverkalkung“ (medizinisch: „Atherosklerose“). Bei einem länger bestehenden Lupus werden die Folgen einer Atherosklerose zur Todesursache Nummer 1 und stellen damit ein zentrales Langzeit-Risiko für dich dar. Man schätzt, dass bis zu 80 % aller Organschäden beim Lupus (sicher oder möglicherweise) mit einer dauerhaften Gabe zu hoher Kortison-Dosen zusammenhängen.
Das Herz-Kreislauf-Risiko steigt über die Zeit erheblich, weil Kortison-Präparate gleich mehrere Faktoren beeinflussen, die eine Atherosklerose beschleunigen: das Risiko für einen Diabetes mellitus („Zuckerkrankheit“) steigt und eine bereits bestehende Erkrankung kann sich verschlechtern. Außerdem kommt es zu einer Erhöhung der Cholesterinwerte (Blut-Fette) und oft zu einem Bluthochdruck. Diese drei Faktoren gelten neben dem Rauchen als die zentralen Risikofaktoren für eine frühzeitige „Gefäßverkalkung“. Die Folgen dieser Risikoerhöhung können z. B. Herzinfarkte und Schlaganfälle sein. Man weiß heute, dass dies bei einem lang bestehenden Lupus die wesentliche Ursache für Todesfälle ist und dass die dauerhafte Kortison-Gabe hier auch eine wichtige Rolle spielt.
Genau deshalb ist es so wichtig, dass man die längerfristige Kortison-Einnahme möglichst minimiert und bestenfalls ganz darauf verzichten kann. Deine Ärzt*in wird deshalb auch dein „kardiovaskuläres Risikoprofil“ (= Herz-Kreislauf-Risiko) sehr gut in Blick behalten und gemeinsam mit dir immer versuchen, die Risikofaktoren zu minimieren.
Was sagen die Leitlinien zum Kortison?
Die europäischen Lupus-Leitlinien der EULAR (European Alliance of Associations for Rheumatology) von 2023 äußern sich sehr klar: Kortison (Glukokortikoide) wird nur gegeben, wenn es auch nötig ist. Es wird nach Typ und Schweregrad der Organbeteiligungen dosiert, auf eine Erhaltungsdosis von maximal 5 mg/Tag reduziert und sollte möglichst nach der Akutphase komplett abgesetzt werden.
Bei schwereren Erkrankungen können intravenöse Kortison-„Puls-Gaben“ (125-1000 mg pro Tag, für 1-3 Tage) in Betracht gezogen werden. Solche „Puls-Gaben“ – also höher dosierte Kortison-Gaben über wenige Tage direkt in die Vene – haben einen schnellen entzündungshemmenden Effekt und können helfen, danach mit den Kortison-Tabletten schneller wieder auf niedrigere Dosen zu kommen. So kurz gegeben gilt das als gut verträglich.
Mit den EULAR-Leitlinien 2023 wurde die Grenze für die Dauertherapie-Dosis noch einmal gesenkt – vorher war sie bei 7,5 mg/Tag. Im Idealfall wird Kortison laut Leitlinien nur als „Überbrückungs-Therapie“ eingesetzt, bis andere Medikamente ihre Wirkung entfaltet und den Lupus in Remission (also in Ruhe) gebracht haben.
Falls eine Patient*in nicht auf Hydroxychloroquin (Antimalariamittel) und ggf. Kortison anspricht, bzw. die Kortison-Dosis nicht auf maximal 5 mg/Tag gesenkt werden kann, sollen zusätzlich weitere Medikamente erwogen werden. Als nächsten Therapieschritt nennen die EULAR-Leitlinien gleichberechtigt Biologika oder Immunsuppressiva. Dazu weiter unten mehr.
Wie viel Kortison ist ungefährlich?
Eigentlich geht es nicht wirklich darum, wie viel Kortison gefährlich ist. Vielmehr geht es darum, dass Kortison ja nur gebraucht wird, wenn der Lupus aktiv ist. Das Ziel im Lupus-Management ist daher immer, den Lupus dauerhaft zu beruhigen, damit möglichst keine Schübe mehr kommen und du deshalb kein Kortison brauchst.
Klappt das nicht und kannst du auf eine Dauertherapie mit Kortison nicht verzichten, ist das nur ein Zeichen dafür, dass dein Lupus nicht wirklich zur Ruhe gekommen ist. Je aktiver der Lupus ist, desto mehr Kortison brauchst du, um ihn zu beruhigen.
Das klappt sehr oft, aber manchmal kann man nicht auf eine kleine Kortison-Dosis verzichten, weil bei jedem Versuch, weiter herunterzukommen, der Lupus wieder aktiver wird. Die in der Dauertherapie „erlaubte“ Dosis wurde dabei über die letzten Jahre immer weiter herabgesetzt – weil man durch neue wissenschaftliche Daten gesehen hat, dass bei höheren Dosierungen doch über die Zeit ein zu hohes Risiko für Nebenwirkungen und insbesondere zunehmende Organschädigungen besteht.
Warum die Dosis nicht leichtfertig stark reduziert werden soll
Jede Dosisveränderung und insbesondere auch jede Reduktion des Kortisons muss gut mit der Ärzt*in abgestimmt werden. Das Risiko ist dabei immer ein neuer Lupus-Schub. Deshalb solltet ihr beide euch so gut wie möglich sicher sein, dass man die Dosis-Reduktion wagen kann, weil der Lupus ruhig ist – auch in den Laborwerten. Außerdem drohen bei einem plötzlichen Absetzen oder einer zu schnellen Reduktion von Kortison gefährliche Mangelerscheinungen des Körpers. Während man am Anfang noch größere Schritte macht, wird das Kortison zum Schluss nur noch ganz langsam in kleinen Schritten reduziert. Das ist wichtig, damit euer Körper die eigene Hormonproduktion wieder „hochfahren“ kann.
Wie kann ich Kortison einsparen?
Nicht du allein solltest Kortison einsparen, sondern jede Veränderung der Dosis und auch die Gesamtstrategie rund um dein Kortison musst du unbedingt mit deiner Ärzt*in abstimmen. Eine wichtige Voraussetzung fürs Einsparen von Kortison ist, dass ihr beide das auch wirklich zum Ziel habt. Du als Betroffene*r hast vielleicht schon erlebt, wie schnell und zuverlässig dir Kortison hilft. Viele Patient*innen möchten deshalb gar nicht ganz darauf verzichten. Gleichzeitig fühlen sich auch viele Ärzt*innen wohler, wenn sie ein bisschen Kortison zur Sicherheit „drin“ behalten.
Wichtig ist: das Kortison soll ja nicht auf Biegen und Brechen abgesetzt werden, sondern du sollst einfach so viel bzw. so wenig Kortison bekommen, wie du brauchst (denke an die Waage weiter oben). Ist dein Lupus komplett beruhigt, brauchst du kein Kortison mehr. Seht ihr aber bei euren Versuchen, die Dosis zu reduzieren, immer wieder eine zunehmende Lupus-Aktivität, werdet ihr ein paar Milligramm Kortison beibehalten – auch wenn wir uns jetzt wiederholen: Es sollten langfristig jedoch nicht mehr als 5 mg am Tag sein. Wenn du fachlich noch ein bisschen tiefer einsteigen möchtest, haben wir dir unter dem Stichwort Kortison hier ein paar Links zusammengestellt.
Ein möglicher Weg in kleinen Schritten
Es gibt einige Strategien und Ansatzpunkte, die helfen können, das Kortison langsam zu reduzieren und vielleicht irgendwann sogar in kleinen Schritten ganz abzusetzen:
Schau dir doch mal an, was Martin Krusche, Facharzt für Innere Medizin und Rheumatologie, über Kortison sagt:
Dr. Krusche
Behalte dein Kortison gut im Auge.
Vereinbare mit deiner Ärzt*in ein klares Kortison-Ziel. Bleibt zusammen am Ball, es zu erreichen, indem ihr deinen Lupus zur Ruhe bringt. Reduziert gemeinsam dein Herz-Kreislauf-Risiko – für ein langes und gutes Leben mit deinem Lupus.
NP-DE-LPU-WCNT-240032, Sept 24
Die LupusCheck-Expert*innen
Dr. med. Johanna Mucke
Oberärztin,
Universitätsklinikum Düsseldorf
PD Dr. med. Johannes Knitza
Oberarzt,
Universitätsklinikum Gießen & Marburg
Dr. Carolin Tillmann
Institut für Erziehungswissenschaft
Arbeitsbereich Sozial- und
Rehabilitationspädagogik,
Philipps-Universität Marburg
PD Dr. med. Martin Krusche
Oberarzt,
Universitätsklinikum
Hamburg-Eppendorf
Prof. Dr. med. Julia Weinmann-Menke
Leiterin des Schwerpunkts Nephrologie
und Nierentransplantation,
Johannes Gutenberg-Universität Mainz